Wir sind seit einer Woche in Südafrika und es fühlt sich wie eine Ewigkeit, soviel haben wir erlebt.

Im Moment sitze ich in der Sonne auf der Holzterrasse unseres Camps und bin von fliegenden Termiten umschwärmt. Anscheinend sollten diese ausfliegen, wenn es geregnet hat und danach die Sonne wieder scheint, die letzten 2 Tage war das Wetter hier schön und warm aber vorher hat es 4 Tage nur geregnet. Anscheinend haben die Termiten erst heute gemerkt, dass das Wetter gut genug ist zum ausfliegen – man überlegt sich was das entweder über die Reaktionszeit der Termiten oder über die Nässe des Bodens aussagt.

Wir haben heute nachmittag frei – juhui! Das ist auch dringend benötigt, die letzten 7 Tage waren ziemlich anstrengend.

Nach unserer Landung in Port Elizabeth haben wir die erste Nacht in einer Backpacker Lodge übernachtet, es war kühl aber ok, die Betten schmal und Daniel hat im Kajütenbett geschlafen, wir haben einige Leute angetroffen, die gerade vom gleichen Kurs zurückkamen, welchen wir geplant hatten und es war sehr interessant, ihren Erzählungen zu lauschen. 

Am Sonntag ging es los, wir wurden in Port Elizabeth abgeholt, Treffpunkt war der Flughafen, es regnete in Strömen und die einzelnen Teilnehmer kannten sich ja nicht. Es war aber trotzdem ziemlich einfach einander zu finden, man hält Ausschau nach jemanden der verloren aussieht, ganz in Khaki gekleidet ist und einen Gepäckhaufen vor sich hat, der für 3 Monate ausreicht. Danach geht man hin, sagt „Hi“ und stellt die Frage: „gehst du auch nach Ulovane?“ (So heisst unser Ausbildungscamp) und 4 von 5 haben geantwortet „ja, wieso, du auch?“ Anschliessend haben wir uns zu zehnt in einen Kleinbus gezwängt und sind eineinhalb Stunden Richtung Nordosten gefahren. Es regnete immer noch. Im Camp angekommen haben wir unsere Zimmer bezogen, nackte Steinwände, 2 Betten, 2 kleine Schränke, 2 Pulte und die Dusche und Toilette zwar unter einen Dach aber draussen. Und es regnet. 

Wasser für Dusche, Geschirr abspülen etc gibt es zwar reichlich, aber warm wird es nur, wenn das Wasser im Tank auf den Zimmern (immer 2 Zimmer in einem Häuschen) von der Sonne aufgeheizt wird. Kurz gesagt, bis am Donnerstag-Abend gab es kalte Dusche und/oder Katzenwäsche ;-(

Nach einer kurzen Orientierung und Nachtessen, welches von Mama Tabs (einer richtigen afrikanischen Mama wie sie im Buche steht, immer lachend, mehr breit als lang und einem Englischen Dialekt, welchen ich auch eine Woche später noch nicht verstehe) gekocht wird geht es ins Bett. Die Zimmer sind so kalt, das ich neben einer  Decke und einer Wolldecke noch meinen Schlafsack nehme. Ich kann euch also sagen, der Schlafsack aus der Packliste wird gebraucht.

Am Montag lassen wir den ganzen Tag Theorie über uns einprasseln, über das Game Reserve in dem wir uns befinden (Amakhala Game Reserve), wem welches Stück Land gehört und wem es ursprünglich gehört hat (einem Mann namens Van Rooyen, welcher nach dem Tod seiner zwei Söhne, die von Viehdieben ermordet wurden, irgendwann Mitte des 18. Jahrhunderts das Land verkauft hat auf dem das ursprüngliche Farmhaus steht), welche interessante Gegenden hier zu besuchen sind (es wurde – ebenfalls um 1850 die Überreste des ersten auf Afrika gefundenen Stegosaurus – Paradathon africanus ausgegraben, es wurden Gräber aus der Steinzeit entdeckt, eine alte Milchscheune wurde nur zum Aufbewahren der Melkutensilien gebraucht, es hat eine alte Brücke die abgerissen wurde und aus deren Teakholz der Esstisch der Haupteigentümer des Reservats getischlert wurde). 

Ihr lest richtig, zwischendurch habe ich mich auf gefragt: wen interessiert das wirklich? Danach kamen Informationen über Gesetze, Regulationen, Ethik und Moral eines Nature Field Guides. Und das alles in einem Africaans Englisch Gemisch. Mein Englisch ist nicht wirklich schlecht, aber ich habe nur etwa 30% der Informationen mitbekommen, es ging einfach zu schnell und war zu schwierig zu verstehen. Dani war nach 1 Stunde bereits am Ende, er verstand nur noch Bahnhof und wir haben uns ehrlich gefragt, was wir hier eigentlich machen. Zwischendurch Mittagessen im Stehen und Nachtessen von Mama Tabs (Fleisch, Fleisch und nochmals Fleisch). und es regnet und ist kalt, wirklich kalt – 1 dicker Pulli, 1 Faserpelz + 1 Jacke und es friert mich noch immer.

Am nächsten Tag ein kurzer Buschwalk, das heisst eine Stunde durchs Gelände laufen, Pflanzen anschauen (es gibt haufenweise wilden Lavendel hier der wunderbar riecht, ein Mountain Zebra in weiter Entfernung, eine Antilope direkt vor uns, aber keine grossen gefährlichen Tiere, unser Camp ist abgeschirmt vom Rest des Game Reserves. 

Am Dienstag Nachmittag dann Beginn unseres 1. Hilfe Kurses. Mehr Theorie, aber diesmal verständlich und extrem interessant, es geht darum, wie man reagiert und was man macht, wenn irgend ein medizinischer Notfall (Krankheit oder Unfall) eintritt und man nicht in der nächsten Stunde eine Ambulanz zur Verfügung hat. Am Abend dann die ersten praktischen Übungen. Wir sind zum Teil Retter und zum Teil Opfer und unser Dozent lässt keine Wünsche offen. Theaterblut Literweise, offene Brüche, Schusswunden in den Brustkorb (die blubbernde Wunde ist an Echtheit kaum zu überbieten, Äste im Kopf, Schlangenbisse, Schnittwunden, Oberschenkel- und Hüftbrüche, arterielle Blutungen, aus welchen das Blut richtig rausgeschossen kommt. Als Retter muss man im Camp warten (die armen Opfer werden präpariert und müssen in der Nässe und Kälte im Schlamm liegen), dann kommt die Meldung über Funk und man rennt und hofft, dass man die richtige Ausrüstung dabei hat und einem nicht schlecht wird. Das geht so weiter am Mittwoch und Donnerstag von 7 Uhr in der früh bis 10 Uhr Nachts mit einer kurzen Mittags- und Abendessen-Pause von je 30 Minuten. Am Donnerstag dazu noch Herzmassage (und Beatmen) bis zum abwinken (an Puppen, die allesamt Annie heissen), die schriftliche Prüfung und abends die praktische Prüfung. Dani muss einen Beckenbruch versorgen (der Patient hat überlebt),

Hier mein Szenario: ein Gruppe von Fussgängern (unbekannte Anzahl…) sind Nachts (es war wirklich 21 Uhr und stockdunkel) auf dem Heimweg in die Lodge und werden von einem betrunkenen Fahrer über den Haufen (buchstäblich) gefahren (das war meine Information über Funk). Adrenalinkick, Erst-Hilfe Set (kleiner Rucksack) gepackt und losrennen ( und es regnet noch immer). am Unfall-Ort angekommen (500m können extrem lang sein) versuche ich mir einen Überblick zu verschaffen (man bedenke dabei, man ist an einem Ort, an dem es Löwen und anderes Getier gibt, also sollte man die eigene Sicherheit nicht aussenvor lassen). Das erste was ich sehe ist eine Frau, welcher eine Hand fehlt, und Frau welche wie manisch in portugiesisch herumschreit und ein Mann mit einem Ast, welcher aus dem Schädel hervorschaut. Ausserdem ein Mann, welcher seinen Arm hält, eine Frau, die am Arm blutet. Ok. Funk für 2 Ambulanzen. Dann die obligaten Fragen: Was ist passiert, wo tut es weh, Allergien, medizinische Vorgeschichte, letzte Mahlzeit etc.: Frau mit amputierter Hand mit einer Druckpatrone verbinden, die Vitalzeichen sind ok, die Frau ist ansprechbar, die Hand, welche 2 Meter weiter im Busch liegt in einen Plastiksack stecken. Dann sagt mir die Frau: Wo ist mein Mann… (Scheisse), wie sieht er aus, es nicht nicht der, der seinen Arm hält, es ist nicht der, welchem der Ast aus dem Kopf ragt. Suche einen Mann in hohem Gras mit einer Stirnlampe. Glücklicherweise liegt er wenige Meter neben ihr, bewusstlos, aber er atmet und der Puls ist normal. Kurzes Ansprechen, er reagiert schwach, abtasten, keine sichtbaren Blutungen, Seitenlage. Weiter zum Mann mit dem Ast: total desorientiert, will immer wieder rauchen, redet wirres Zeug, ich setze ihn hin, verbinde seinen Kopf so dass sich der Ast nicht mehr bewegen kann und sage einem der Zuschauer, er soll schauen, dass er nicht wegläuft (was er dann doch immer wieder macht, also wieder weg vom nächsten Patienten, den Ast-Patienten beruhigen, hinsetzen). Als nächstes kurzer Check der amputierten Frau und des Bewusstlosen. Die Frau, welche am Arm blutet, kann ich praktisch ignorieren, es ist eine oberflächliche Schürfwunde, der Mann, der sich den Arm hält hat die Schulter ausgekugelt, also wird das mit 2 Dreiecktüchern am Oberkörper fixiert. Die manische Frau auf portugiesch hat eine Schürfwunde an der Nase und eine leichte Schnittwunde im Gesicht. Während ich mich um sie kümmere beruhigt sie sich und fragt mich, wo ihr Mann sei (Scheisse, noch einer…). Nach 2 Minuten suche finde ich ihn, er ist ansprechbar, klagt über Schmerzen im Kopf und beim Check merke ich, dass er seine Beine nicht mehr spürt… hmmm, nun bin ich am Ende, soll ich ihn nun auf eine Rückenverletzungstrage verlegen oder so liegen lassen? Er atmet und ist ruhig also entscheide ich mich für liegen lassen. Funk für weitere Ambulanz mit Verdacht auf Querschnittslähmung. Der Mann mit dem Ast, will schon wieder rauchen…. und es geht noch 2 Stunden bis die Ambulanz kommt.

Langer Rede kurzer Sinn: es ist kaum vorstellbar, was mir momentan durch den Kopf geht und ich bin einfach nur dankbar, dass alles nur gestellt ist, auch wenn die Blutungen und alles brutal echt aussehen.

Dani und ich haben nun beide ein 1. Hilfe Zertifikat Level 2 (es geht bis Level 3) in Remote Areas (abgelegenen Gegenden) und wir hoffen, dass wir so gewappnet nie einem echten solchen Notfall begegnen.

Am Freitag Morgen um 5.30 Uhr wieder raus in die Natur, es hat aufgehört zu regnen, die Vögel zwitschern, die Käfer sind unterwegs und wir versuchen uns zu merken, welcher Vogel wie singt und welcher Käfer wie heisst. Danach Off-Road Auto: Wie funktioniert ein Getriebe (Benzin, Diesel) was macht eine Einspritzpumpe, wozu braucht man Vorglühe-Birnen. Diesmal bin ich die, die abschaltet: ich weiss, wie ein Ölwechsel gemacht wird, ich lerne an diesem Tag alleine das Rad eines „Riesen“ Landrevers zu wechseln und das erfolgreich, ich weiss wo man welche Flüssigkeit auffüllt, das muss reichen. Am Samstag dann „Nachhaltiges Leben“, das heisst, wir müssen den Gemüse-Garten jäten, Holz schlagen etc etc. In Indien würde man dem Karma-Yoga sagen und wir hoffen, dass unser Karma nun gut ist. Diese arbeiten werden wird von nun an jeden Samstag erledigen und ich werde euch nicht mehr damit langweilen, ausser wir begegnen der Buumslang (hochgiftige Baumschlange) welche anscheinend im Gemüsegarten lebt (ohjeee…).

Jeden Sonntag Morgen gibt es eine 3-stündige Prüfung (leider nicht einfach nur Kreuze machen sondern ganze Romane schreiben) über das gelernte (oder zumindest, das was doziert wurde), vorher müssen im Theorie- und im Praxisbuch bis zu 200 Fragen beantwortet werden. 

Inzwischen wird es kühler, die Termiten sind alle ausgeflogen und die Sonne ist nur noch am Horizont zu sehen. Phuu, das war ein langer Eintrag und danke, wenn du bis hierhin gelesen hast, ich verspreche, die nächsten Einträge werden kürzer sein und ich hoffe, dass wir nächste Woche mehr Tiere sehen und weniger Bücher.

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